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Schlussakkord in moll

Veröffentlicht: 04.03.2011

Die traditionsreiche Berliner Musikalienhandlung Bote & Bock steht vor dem Aus: „Ach übrigens, wir schließen am 31. März", lesen die Kunden im Schaufenster von Bote & Bock in der Berliner Hardenbergstraße 9a.  Was so nüchtern aussieht wie eine Ferienankündigung, ist in Wirklichkeit ein Urlaub ohne Wiederkehr. Auf Anordnung des Inhabers, des Londoner Musikverlags Boosey & Hawkes, muss Berlins traditionsreiche Musikalienhandlung schließen. Die Musikwelt reagierte entsetzt und verwundert zugleich: Das Philadelphia-Orchestra, die Berliner Philharmoniker, das Deutschlandradio und zahlreiche andere Institutionen bekundeten ihren Protest schriftlich. Zehn Angestellte arbeiten bei Bote & Bock in der Hardenbergstraße. Sortimentsleiter und Betriebsrat Klaus Rinkleff ist einer von ihnen. Der 61-jährige bringt es auf den Punkt: „Man sollte eine 160 Jahre alte Traditionsbuchhandlung nicht einfach zumachen wie eine Frittenbude. Die Engländer sind sehr traditionsbewusst, aber nur was ihre eigene Geschichte angeht. Die Begründung für die Schließung ist hausgemacht. Man hat uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen." Womit Rinkleff auf fehlende Investitionen von Boosey & Hawkes für den Internetvertrieb anspielt. Auch Musikalienhändler Gregor Bosch versteht nicht, „wieso ein notenproduzierender Verlag ein notenverkaufendes Geschäft kaputtmacht." Seit 10 Jahren kümmert er sich bei Bote & Bock um den Aufbau der Popmusik von Abba bis Zappa. „Ein Popsortiment wie wir es haben, gibt es in ganz Deutschland nicht", sagt er stolz. Ab April blickt er einer ungewissen Zukunft entgegen. Schon 30 Jahre lang arbeitet Regina Steinhäuser für Bote & Bock. Die gelernte Buch- und Musikalienhändlerin baute eine Fachbuchhandlung auf, die ihresgleichen sucht. Als stellvertretende  Sortimentsleiterin weiß sie, dass man im Musikalienhandel nicht mehr reich werden kann: „Man muss froh sein, Gehälter und Miete bezahlen zu können und Investitionen tätigen zu können", sagt sie, „die Bibliotheken bestellen jetzt weniger Neuerscheinungen, weil die öffentlichen Gelder fehlen".

 

Noten, ein Verlustgeschäft?

 

Auch Winfried Jacob, Geschäftsführer von Boosey & Hawkes / Bote & Bock in Deutschland, sieht in den Etatkürzungen der Bibliotheken eine Hauptursache für die Schließung. „Uns war es wichtig dieses Geschäft zu erhalten, ich bedaure, dass wir es nicht geschafft haben", sagt Jacobs. Ausschlaggebend waren die tiefroten Zahlen, die man in der Hardenbergstraße schrieb: „Eine halbe Million Mark Verlust jährlich - mit Tendenz zur Verschlechterung", erklärt Jacob, „die Musikalienhandlung leidet unter Fluktuation, Käuferschichten gehen verloren, der Diebstahl ist enorm hoch - seit sie Berlins Mitte entdeckt haben, fehlen die Touristen als Käufer." Mit neuen Konzepten habe man versucht die Trendwende zu erreichen, Lagerbestände wurden abgebaut,  man suchte nach einem neuen Standort und neuen Kooperationspartnern - vergebens. „Wir sind kein Multi und das Interesse von anderen Unternehmen zu kooperieren war gering", sagt Jacob.

 

Bote & Bock schreibt Musikgeschichte

 

Im Februar 1838 übernahmen Eduard Bote und Gustav Bock die Geschäfte der Musikalienhandlung Fröhlich & Comp. Während sich Eduard Bote, ein „sehr solider, in jeder Beziehung streng rechtlicher junger Mann" nach 9 Jahren aus dem Gemeinschaftsunternehmen zurückzog, blieb die jüdische Familie Bock über 5 Generationen lang dem Musikalienhandel treu. Gustav Bock publizierte vor allem Berliner Komponisten sowie Vokal- und Tanzmusik. In seinen Katalogen finden sich Lieder von Robert Schumann, Carl Loewe und Fanny Hensel - der Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy - außerdem Tänze und Märsche von Benjamin Bilse, Wilhelm Wieprecht oder Giacomo Meyerbeer. Gustav Bock erwarb von Jacques Offenbach das alleinige Verlagsrecht an seinen frühen Operetten für deutschsprachige Bühnen. Bock beschränkte sich aber nicht nur auf die Leitung seiner Firma, sondern gründete zusammen mit Komponisten, Dirigenten und Musikschriftstellern den Berliner Tonkünstlerverein. Außerdem gab er seit dem 16. Dezember 1846  die wöchentlich erscheinende „Neue Berliner Musikzeitung" heraus. Gustav Bock erlag am 27. April 1863 einem Herzschlag. Sein Bruder, Emil Bock, übernahm fortan die Geschäfte des Verlags.

Er starb 1871 und Hugo Bock, der Sohn von Gustav Bock, führte den Verlag und die Musikalienhandlung zu neuer Blüte. Die prosperierende Firma bezog neue Geschäfträume in der Leipziger Straße 37, im ehemaligen Konzert-Café Kaisersaal. Hugo Bock verlegte Tschaikowskys „Romeo und Julia", Dvoraks Streicherserenade, Rubinsteins 3. Klavierkonzert, Gustav Mahlers 7. Sinfonie, Werke von Richard Strauss oder Max Reger und war als Gründungsmitglied der GEMA Vorkämpfer für eine angemessene Entlohnung der Komponisten. Sein Gespür für zugkräftige Kompositionen war bemerkenswert. Auf einer Urlaubsreise in Neapel hörte er „O sole mio" und sicherte sich die Rechte. Sämtliche Revue-Musiken aus dem Berliner Metropol-Theater erschienen bei Bote & Bock. Einzelne Nummern der Erfolgsrevue „Auf ins Metropol" wurden in 70 verschiedenen Fassungen gedruckt. Im Jahre 1920 feierte Hugo Bock sein 60-jähriges Firmenjubiläum - inzwischen unterstützt von 120 Mitarbeitern, verteilt auf mehrere Filialen. Darunter als Prokuristen seine Söhne Dr. Gustav Bock und Anton Bock.

 

Marschmusik im dritten Reich

 

Der Seniorchef starb 1932. Mit der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 begann für den Verlag eine schwere Zeit. Plakate mit der Aufschrift: „Deutsche, kauft nicht bei Juden!" klebten auch an den Schaufenstern von Bote & Bock. Ein Trick rettete die jüdische Musikalienhandlung vor dem Ruin. Robert Lienau, ein befreundeter Verleger, übernahm die Geschäftsführung und übergab sie später wieder an nichtjüdische Mitglieder der Familie Bock: Dr. Walther Radecke, sein Sohn Kurt und Dr. Alice von Waldkirch waren die neuen Anteilseigner. Marschkompositionen wurden verstärkt ins Programm genommen, neue Autoren, wie Wilhelm Furtwängler, Boris Blacher oder Wilhelm Kempff verlegt. Der Bombenhagel über Berlin brachte die Tätigkeit des Verlags schließlich zum Erliegen. Fünfmal musste das Geschäft neu aufgebaut oder mussten neue Räume gesucht werden. Nach dem Krieg übernahm Dr. Gustav Bock wieder die Geschäftsleitung, ab 1953 waren von Waldkirch, Langheld, Schiftan und Radecke die neuen Inhaber. Nach mehreren Provisorien bezog Bote & Bock am 25. Oktober 1957 repräsentative Räume in der Hardenbergstraße 9a, in unmittelbarer Nähe zur Musikhochschule.

Das Verlagsprogramm wurde internationaler und man kümmerte sich wieder um neue Komponisten: Werke von Isang Yun, Werner Thärichen, Frank Michael Beyer und Yannis Xenakis - um nur einige zu nennen - erschienen bei Bote & Bock. Sie erklangen auch regelmäßig in der Berliner Philharmonie. 1996 ging die Familientradition zu Ende. Der Verlag Bote & Bock und die Musikalienhandlung in der Hardenbergstraße wurden für 6, 4 Millionen Mark Eigentum des Londoner Musikverlags Boosey & Hawkes.

 

Die Zukunftsmusik heißt Trauermarsch

 

Seine Kundschaft verdankt Bote & Bock der benachbarten Musikhochschule, der Klavierhandlung Steinway & Sons, der Technischen Universität sowie der optimalen Lage in der City zwischen den U-Bahnhöfen Ernst-Reuter-Platz und Bahnhof Zoo. Stammkunden schätzen das erstklassige Sortiment, die hervorragende fachliche Beratung und das ungestörte Stöbern in der Fachbuch- oder Notenabteilung. Trotzdem ist der Umsatz rückläufig und die Schließung wohl unabwendbar. „Hast du gelesen, die schließen am 31. März", sagt der junge Mann zu seiner Freundin, die gerade die Filmmusik zu Forrest Gump kauft. „Was? Wieso das denn?", wundert sich die junge Kundin. Zurecht. Denn wo sonst sollte man Noten kaufen als bei Bote & Bock in der Hardenbergstraße?


(04.03.2011)